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Gute Grenzen setzen und hilfreich begleiten im Umgang mit Medien
von Eberhard Freitag (Dipl. Pädagoge – Leiter von return – Fachstelle Mediensucht -
Hannover)

www.return-mediensucht.dereturn (externer Link)

„Unser Sohn ist 14 Jahre alt und geht nicht mehr regelmäßig in die Schule. Er spielt täglich viele Stunden online, auch nachts. Verbieten wir ihm dies, indem wir die Internetverbindung unterbrechen, wird er sehr aggressiv."

„ Unsere 13jährige Tochter kann nicht mehr ohne WhatsApp leben."

„Mein 13jähriger hat gewalthaltige Pornographie im Internet gesehen und kommt
damit überhaupt nicht klar."

Fast täglich melden sich Eltern in unserer Beratungsstelle, die solche und ähnliche
Situationen beschreiben und um Hilfe bitten. Sicherlich extreme Beispiele aber wer
kennt als Eltern nicht die anstrengende Auseinandersetzung um Medienzeiten, um
erlaubte und unerlaubte Spiele, das Drängen nach dem eigenen Handy, bzw.
Smartphone und später dann dem eigenen Laptop im Kinderzimmer.
Der Sog, der von Bildschirmmedien auf unsere Kinder ausgeht, ist riesengroß.
Besonders Jungen können in den virtuellen Welten hochkomplexer PC Spiele
regelrecht versinken.

Die Medienpädagogin Dr. Paula Bleckmann vergleicht das mediale Angebot mit
einem Raubfisch, der in das bunte und lebendige Aquarium des Lebens unserer
Kinder gesetzt, das Potential hat, alle anderen Lust und Freude machenden
Aktivitäten unserer Kinder gewissermaßen aufzufressen, um am Ende alleine übrig
zu bleiben. Wenn wir, um im Bild zu bleiben den sicherlich sehr schön anzusehenden
Raubfisch im Leben unserer Kinder zulassen, muss er in einem eigenen klar
begrenzten Aquarium leben. Wir kommen als Eltern also um klare Grenzsetzungen
nicht herum.

Es macht einen großen Unterschied, ob wir unserem Kind ein Fahrrad oder eine
tragbare Spielekonsole schenken. Die Spielekonsole braucht im Gegensatz zum
Fahrrad von Beginn an klar definierte Nutzungszeiten. Warum ? Weil dieses Gerät
dem Spieler ohne wirkliche Anstrengung permanent sehr wirksame Belohnungen und
damit Glücksgefühle offeriert.

Es handelt sich um ein Gerät, was zur effektiven Regulierung von Gefühlen, zum
Vertreiben von Langeweile zum Abbau von Frust und Ärger, zum Erreichen von
Erfolg und Selbstwirksamkeit eingesetzt werden kann.
Computerspiele sind insbesondere für Jungen deshalb so attraktiv, weil sie dort
spannende Abenteuer erleben können, Macht, Herrschaft und Kontrolle ausüben
können, echte Helden sind und Aufträge, sog. Missionen erfüllen können, die ihr
Selbstbewusstsein enorm stärken. Computerspiele bedienen Wünsche und
Sehnsüchte von Jungen auf eine perfekte Art und Weise.
Wer sich unkontrolliert dieser Faszination aussetzen darf, kann in eine Art
Teufelskreis geraten, der darin besteht, dass die virtuellen Erfolge im Spiel mit der
Zeit immer bedeutsamer werden und hier mehr und mehr Energie und Zeit investiert
wird. Das reale Leben wird als Konsequenz vergleichsweise langweilig und erfolglos
erlebt, was den Aufenthalt im Spiel dann wiederum noch attraktiver macht. Eine
regelrechte Abhängigkeit kann so ihren Lauf nehmen.

Die ständig unmittelbaren Belohnungserfahrungen im Spiel verformen je nach
Spielintensität regelrecht das Motivationszentrum des Spielers und schwächen in der
Folge die Fähigkeit auf längerfristige Ziele und Erfolge hin zu arbeiten, Spannungen
dafür auszuhalten, d.h. eine Kompetenz zu trainieren, die für schulischen Erfolg und
andere wichtige Lebensziele unabdingbar ist .
Neben PC-Spielen verführen soziale Netzwerke, allen voran aktuell WhatsApp und
Facebook unsere heranwachsenden Kinder dazu, ständig on sein zu wollen, bzw. zu
müssen, um ja nichts zu verpassen, nicht abgehängt zu werden. Durch den mobilen
Internetzugang via Smartphone verstärkt sich der soziale Druck der jederzeitigen
Erreichbarkeit noch einmal mehr.

Ein freier und unkontrollierter Internetzugang ermöglicht unseren Kindern mit ein paar
wenigen Klicks den kostenlosen Besuch von unzähligen Pornoseiten, von deren
Inhalten wir uns als Eltern in aller Regel keinerlei Vorstellungen machen. Sexuelle
Bilder und Phantasien, evtl. noch gekoppelt mit Selbstbefriedigung, ermöglichen
extrem starke Gefühle, die nach Wiederholung verlangen. Dieses rauschartige
Erleben und die damit verbundene Illusion von sexueller Erfüllung können neben
dem Wunsch nach dem gesteigerten Kick die unterschiedlichsten menschlichen
Bedürfnisse illusorisch bedienen und regulieren. Etwa den Wunsch nach Nähe, nach
Annahme und Bestätigung, nach Macht und Kontrolle, aber auch die Suche nach
Abenteuer, den Ausbruch aus einem sonst eher langweiligen Leben. Nicht wenige
suchen im Konsum Entspannung von ihrem stressigen Alltag oder nutzen
Pornographie ganz einfach als Mittel gegen Langeweile und Alleinsein.
Neben der sehr starken Suchtdynamik, die durch regelmäßigen Konsum in Gang
gebracht werden kann, haben pornographische Inhalte vor allem langfristige
Auswirkungen auf die zukünftige Partnerschaft. Diese wird in ihrem Kern durch das
„online-Fremdgehen" eines Partners regelrecht vergiftet. Wir erleben in unserer
Beratungsstelle hier an vielen Stellen große Not.

Unter Jugendlichen gilt Pornografiekonsum inzwischen leider vielfach als normal:
Nach einer großen Studie der deutschen Gesellschaft für sozialwissenschaftliche
Sexualforschung von 2008 konsumieren 20,6 % der 16 – 19jährigen Jungen täglich
(!) Pornographie ( dagegen 1,4 % der Mädchen) 40 % der Jungen konsumieren
wöchentlich.

Die Inhalte sind zu einem erheblichen Teil geprägt von Gewalt, Perversionen und der
Entwürdigung von Frauen. Regelmäßiger Pornografiekonsum in jungen Jahren
reduziert erwiesenermaßen die Hemmschwelle, selber Täter von sexueller Gewalt
zu werden. Ein Zusammenhang der bislang in der Öffentlichkeit kaum thematisiert
wird.

Bis hierher lesen Sie zugegebenermaßen eine sehr einseitige und negative
Beschreibung der Wirkungen elektronischer Bildschirmmedien.
Ich bin gleichwohl kein grundsätzlicher Gegner von Computerspielen, habe auch
nichts gegen die unzähligen enorm kreativen und witzigen Filme bei youtube
einzuwenden und bin überzeugt, dass gute Lernprogramme etwa beim
Vokabellernen helfen können.
Die Herausforderung, vor der wir als Eltern stehen ist im Grunde genommen
folgende: Wie helfen wir unseren Kindern zu einer Mediennutzung, die im Hinblick
auf die Zeit und die Inhalte an das Maß der bereits erreichter Persönlichkeitsreife
angepasst ist ?

Probleme entstehen in der Regel immer dort, wo Kinder ein Maß an
Bildschirmmedien zur Verfügung haben, das sie selber nicht verantworten können
und deren Folgen sie selber nicht überblicken.

Ein freier und unkontrollierter Internetzugang für einen 13jährigen ist ein Stück weit
vergleichbar mit einem Stapel Pornohefte auf seinem Schreibtisch, in denen er aber
bitte nicht blättern soll. Eine solche Grenze wird ein 13jähriger aufgrund seiner Reife
in der Regel nicht halten können. Die Neugierde ist viel zu groß, ein Bewusstsein für
das seelische Gift, was er mit den Bildern aufnimmt, kaum vorhanden.
Dieses Beispiel leuchtet unmittelbar ein, aber der ungefilterte, freie Internetzugang ist
leider in vielen Kinderzimmern die Regel statt die Ausnahme.
Wir wollen als Eltern auch einfach nicht glauben und schieben den Gedanken gerne
beiseite, dass auch unsere Kinder tatsächlich solche Inhalte konsumieren könnten.
Überall in unserer Gesellschaft wird aufgrund der zunehmend offenbar werdenden
Risiken nach mehr Medienkompetenz gerufen und gleichzeitig von der scheinbar
selbstverständlichen, ja fast schicksalshaften Anwesenheit und Verfügbarkeit von
Bildschirmmedien im Alltag von Kindern ausgegangen.

Dieser schillernde aus meiner Sicht im Grunde fast schon verbrannte Begriff
„Medienkompetenz" weckt die trügerische Hoffnung, dass wir unsere Kinder
möglichst schon ab dem Kindergartenalter mit einer Art Spezialwissen ausstatten
könnten, mit dem sie in die Lage versetzt werden, ihren Mediengebrauch, bzw. –
konsum eigenverantwortlich zu managen.
Aus meiner Sicht werden entwicklungspsychologische Aspekte in der Debatte um
Medienkompetenz allzu oft außer Acht gelassen und Ansprüche bzw. Lernziele
formuliert, die Kinder und Jugendliche aufgrund ihres Entwicklungsstandes gar nicht
erfüllen können.

Aus diesem Grund scheitern Eltern vielfach auch in ihren Bemühungen, ihren
Kindern einen angemessenen Umgang speziell mit internetfähigen Endgeräten zu
vermitteln.
In den Bemühungen, Kinder und Jugendliche zu einer angemessenen
Mediennutzung anzuleiten, geht es aus unserer Sicht vielmehr um die Entwicklung
der grundlegenden Fähigkeit einer kritisch-konstruktiven Auseinandersetzung mit
sich und den Einflüssen der Umwelt und damit auch der Bildschirmmedien.

Diesen langen Entwicklungsweg können Projekte zur Medienkompentenz weder
ersetzen, noch abkürzen.
Ich bin davon überzeugt, dass wir mit Versuchen, die Persönlichkeitsreife mittels
Medienkompetenzprojekten quasi zu beschleunigen, um die Kinder möglichst früh an
die allgegenwärtige Mediatisierung anzupassen, uns und unseren Kindern keinen
guten Dienst tun.

Wir sollten uns vielmehr von der Frage leiten lassen, was unsere Kinder benötigen,
um gesund wachsen zu können an Leib und Seele.
Wie oben bereits angedeutet, arbeitet die meist unmittelbare Belohnungserfahrung
insbesondere beim PC-Spiel und beim Konsum pornographischer Inhalte, einem
meiner Überzeugung nach zentralen Erziehungsziel für unsere Kinder entgegen. Mit
diesem Erziehungsziel meine ich die Ausprägung der Fähigkeit eine positive
Spannung aufzubauen und im Hinblick auf ein weiter entferntes Ziel hin zu halten,
d.h. konstruktiv zu nutzen und auf etwas hinarbeiten zu können.
Das Bild von Pfeil und Bogen macht für mich diesen Zusammenhang eindrücklich
deutlich. Ein Pfeil wird auf die Sehne gelegt und auf ein weiter entferntes Ziel hin
ausgerichtet. Die Sehne muss kraftvoll angespannt werden, die Spannung gehalten
werden, um sich des Ziels zu vergewissern. Durch die Kraft der aufgebauten und
gehaltenen Spannung kann ein Pfeil dann über eine weite Entfernung präzise das
anvisierte Ziel treffen. Wer nicht willens und in der Lage ist, die Sehne kräftig zu
spannen, dessen Pfeil wird nur ein paar Meter weit trudeln.
Täglich erlebe ich in der Beratung mit Jugendlichen diesen Zusammenhang im Blick
auf die Wechselwirkungen zwischen exzessivem Medienkonsum und abgebrochenen
Projekte in ihrem Leben.

Die echten Erfolge und Abenteuer, die über den Tag hinaus Bedeutung haben und
unsere Kinder nachhaltig berühren, ihnen Selbstvertrauen geben, sind ohne Einsatz
nicht zu haben; die echten Gipfel, sie wollen zunächst bestiegen werden.
Diese Fähigkeit der inneren Spannkraft gilt es in unseren Kindern zu stärken, zu
trainieren.

Als Voraussetzung dafür ist eine klare Begrenzung der Spielzeiten am PC
unabdingbar.
Die Empfehlungen zum täglichen Bildschirmmedienkonsum der BZGA finde ich hier
richtungsweisend: 0-3 Jahre: möglichst keinerlei Konsum, 3-6 Jahre: max. 30 min, 6-
10 Jahre: max. 45 min. (externer Link: www.kindergesundheit-info.de) Für ältere Kinder plädiere ich
dafür, die Zeiten weiterhin möglichst gering zu halten, um dem Medienkonsum keine
Chance zu geben, andere altersgemäße Aktivitäten aus dem Feld zu schlagen. Im
Teenageralter und mit zunehmender schulischer Nutzung des PC s gilt es Regeln
neu zu formulieren und mehr und mehr Eigenverantwortung zu übergeben.
In vielen Familien bewährt es sich, dass der von den Kindern benutzte PC im
öffentlichen Raum der Wohnung steht und nicht im Kinderzimmer. Dies erschwert
eine unkontrollierte Nutzung und hilft den Konsum destruktiver Inhalte zu vermeiden.
Bilder, die wir mit unseren Augen aufnehmen, prägen unser Herz, unsere Seele. In
den Sprüchen Salomos im Alten Testament heißt es: „Mehr als alles andere behüte
dein Herz, denn daraus quillt das Leben."

Wir haben als Eltern eine Verantwortung dafür, welche Bilder in die Herzen unserer
Kinder gelangen. Das bedeutet, dass wir ihnen das Internet sehr bewusst gemäß
ihrer Verantwortungsfähigkeit öffnen und alles dafür tun, sie vor Bildern der

Würdelosigkeit, der Gewalt und einer beziehungslosen und egoistischen Sexualität
zu schützen.
Eine geeignete Filterschutzsoftware zu Beginn mit einer whitelist, mit der nur die
vorher erlaubten Seiten geöffnet werden können, leistet dazu einen effektiven
Beitrag. Dazu ist es notwendig, dass Kinder nicht über Administratorenrechte am PC
verfügen, sondern ein Benutzerkonto mit eingeschränkten Rechten zugewiesen
bekommen. Auch für Smartphones gibt es mittlerweile spezielle Apps, die die
Nutzungsmöglichkeiten wirksam begrenzen können.

Mit einer solchen Haltung sind wir als Eltern sicher nicht im Trend der Zeit, werden
immer wieder in nicht leichten Auseinandersetzungen mit unseren Kindern stehen
und werden überdies auch nicht jeden problematischen Inhalt verhindern können.
Das Kielgewicht einer Segelyacht ist entscheidend für ihre Sturmtauglichkeit.
Da wo wir als Eltern immer wieder Zeit und Kraft in eine vertrauensvolle Beziehung,
in das Gespräch mit unseren Kindern investieren, ihnen Vorbild sind, unsere Haltung
mit den damit verbundenen Grenzsetzungen versuchen nachvollziehbar zu erklären,
„beschweren" wir ihr charakterliches Kielgewicht.

Wir dürfen hoffnungsvoll sein, dass sie dann eines Tages dank dieses Kielgewichts
in der Lage sein werden, ihr Lebensboot alleine ohne unsere elterliche Begleitung
über den mediatisierten Ozean zu navigieren. Den Stürme und die Wellen, die ihnen
dort begegnen, werden sie so standhalten können. Dieses Vertrauen und eine damit
verbundene gewisse Gelassenheit sollten wir als Eltern in allen Herausforderungen
mit diesem Thema nicht verlieren.